
Frage:
Vor einigen Wochen war ich mit Freunden in einem für seine Wildspezialitäten bekannten Restaurant. Der schöne Abend wurde abrupt unterbrochen, als ich beim Verzehr des Rehschnitzels auf eine sich im Fleisch befindliche Schrotkugel gebissen habe. Dabei ist mir unglücklicherweise ein beträchtlicher Teil des rechten oberen Schneidezahns abgebrochen. Um zu retten, was noch zu retten war, ging ich zum nächsten Notfallzahnarzt, der mir im Anschluss für die Behandlung eine Rechnung über CHF 3’500.00 ausstellte. Meine Unfallversicherung weigert sich nun, den Schaden zu übernehmen – zu Recht?
Antwort:
Unfallversicherungen sind grundsätzlich nur zur Übernahme der Behandlungskosten verpflichtet, wenn sich diese aus Folge eines Unfalls ergeben. Für die Beurteilung des vorliegenden Falles ist es daher ausschlaggebend, ob der Biss auf die Schrotkugel aus rechtlicher Sicht als Unfall zu qualifizieren ist.
Die versicherungsrechtliche Definition eines Unfalls findet sich in Art. 4 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG). Danach ist ein Unfall die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.
Von besonderer Relevanz für den vorliegenden Fall ist dabei das Kriterium der Ungewöhnlichkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist entscheidend, dass der äussere Faktor im konkreten Lebensbereich als unüblich zu qualifizieren ist. Bezogen auf Zahnschäden im Rahmen der Nahrungsaufnahme bedeutet das, dass in solchen Fällen nur ein Unfall vorliegt, wenn der Schaden von einem Gegenstand verursacht wurde, der üblicherweise nicht im betreffenden Nahrungsmittel anzutreffen ist.
Zur Illustration einige Beispiele: Das Bundesgericht bejahte den Ungewöhnlichkeitsfaktor bei einem Zahnbruch durch einen Biss auf eine Nussschale in einem Nussbrot (BGE 114 V 169 E. 2) oder bei einem Knochensplitter in einer Wurst (BGE 112 V 201 E. 3.b). Hingegen wurde die Ungewöhnlichkeit verneint bei einem Zahnschaden nach einem Biss auf die Figur in einem 3 Königskuchen (BGE 112 V 201 E. 3.b).
Das Bundesgericht befasste sich auch bereits mit einem Fall von Schrotkugeln im Wildfleisch. Dabei kam es in seinem Urteil U367/04 vom 18. Oktober 2005 zum Schluss, dass beim Essen von gejagtem Wild in einem Restaurant damit gerechnet werden müsste, dass sich Reste von Schrot bzw. Projektilen im Fleisch befinden. Es handle sich dabei nicht um etwas Ungewöhnliches. Das Ereignis könne daher nicht als Unfall qualifiziert werden, da kein ungewöhnlicher äusserer Faktor vorliegt. Entsprechend entfalle auch die Leistungspflicht des Unfallversicherers.
Dieser Rechtsprechung folgend ist im vorliegenden Fall festzuhalten, dass der Unfallversicherer seine Leistungspflicht zurecht verneint hat.
Es empfiehlt sich daher, beim nächsten Essen von Wildspezialitäten besonders genau hinzuschauen, ob sich im Wildfleisch nicht doch noch etwas Unverhofftes versteckt.
Hinweis: Dieser Artikel von Rechtsanwalt Thomas Räber wurde am 28. Mai 2025 im Seetaler Bote veröffentlicht.